Knöpfe, Teil 1

Apollogrübchen. So bezeichnete man die von der Fachjury der Allgemeinheit als attraktiv eingestuften Dellen am unteren Rücken, links und rechts der Wirbelsäule mancher gesegneter Männer. Anders hingegen nannte man die bei Frauen. Wie die jetzt genau bei denen hießen, war wiederum egal, denn es war ja kein Frauenrücken, dem sie wie hier wie hypnotisiert durch die englische Flora hinterherschlurfte. Wahrscheinlich irgendwas mit Aphrodite. Oder Venus. War ja im Grunde dasselbe, und welche davon jetzt die Griechin und welche die Italienerin - Römerin, tschuldigung - war, konnte sich am Ende ja doch keiner behalten. Lola schonmal gar nicht, und erst recht nicht in diesem Zustand. War ja auch, wie gesagt, schnurz. Adam Sandler und den anderen warf sie auch ständig durcheinander, wie hieß der jetzt wieder, Ben Stiller, und das merkte meistens nicht einmal jemand. Sie sagte z.B.: "Den Streifen, in dem Adam Sandler seinen Schwiegervater melken will, kann ich vor lauter Fremdscham nicht ertragen" und man antwortete zwar empört, aber aus den falschen Gründen: "Also, ich fand den witzig!" Dabei war das in dem Film gar nicht Ben Sandler, sondern der andere, glaubte sie zumindest. Einmal jedoch hatte sie eine Wette verloren wegen so einer hartnäckigen Verwechslung, da war die sture Ahnungslosigkeit aufgeflogen, weil sie nämlich nicht davon abzubringen gewesen war, Scarlett Johannson würde in der ikonischen Karaokeszene in "Lost in Translation" ausgerechnet "I don't feel like dancing" von den Scissor Sisters trällern. Was natürlich vollkommen banane gewesen war. Haha, als ob die Sophia Coppola...nunja, nach der Niederlage war sie jedenfalls etwas zurückhaltender mit der Veräußerung derartiger Überzeugungen geworden. Wurde ja auch immer leichter, solche Irrtümer aufzuklären, denn das Internet war auf dem Vormarsch.
So, wie zum Henker sind wir jetzt wieder bei den Scissor Sisters gelandet? Achso, Musik. Mein Stichwort. In Lolas Ohren steckten Kopfhörer, und aus denen wummerte "Galvanize" von den Chemical Brothers. My finger is on the button, und so weiter und so fort. Sie hatte sich nämlich ihre "Running motivation"-Playlist auf ihrem ipod gegönnt, auch wenn man damals noch gar nicht dauernd von Gönnung sprach und sie niemals auf die Idee gekommen wäre zu joggen. Da schrubbte man sich ja die Schenkelinnenseiten kaputt und die Brüste flogen wild herum wie Pogende auf Konzerten der Ärzte. Aua. Niemals rannte man in der Öffentlichkeit, das war die goldene Regel, denn wie sah das denn aus. Die Playlist wurde also zweckentfremdet und sollte finstere Gedanken vertreiben, wie: Wenn du irgendwo ein Buttermesser findest und hartnäckig genug sägst, schaffst du es vielleicht, deine Pulsadern zu öffnen und musst heute nicht wandern. Ach was, Buttermesser. Irgendeiner der Lehramtsstudenten hatte doch bestimmt in seinem Jack Wolfskin-Trekkinganorak oder in der beigen Funktionshose ein Schweizer Taschenmesser versteckt. Und Taschentücher, Pflaster, mehrere Flaschen Apfelschorle, Butterkekse, Insektenspray, einen Bunsenbrenner. Was man eben so mit sich führte, wenn man mit Anfang zwanzig schon Mitte fünfzig war. Die Kommilitonen vom Lehramt aber liefen gut zwanzig Meter weiter hinten, aufgeregt wie ein Rudel Hunde aus dem Tierheim, das endlich einmal jemand ausführte, und zu beschäftigt mit Speichelleckerei, um jetzt nach dem Taschenmesser zu kramen. Am anderen Ende der Leine: Ingo Kazmierski, Dozierender der englischen Literaturwissenschaft und zwar nicht der einzige mit Notengewalt, bei dem es sich auf so einer Exkursion anzubiedern galt, aber der jüngste. Da witterte der Lehramtsköter natürlich gleich eine gewisse Zugänglichkeit und schleckte vergnügt an den haarigen Fingern Eurer Majestät. Würde sich vielleicht irgendwann lohnen, sollte man sich bei einer Examensprüfung wiedertreffen. "I love hiking!", "I wonder if we're going to see wild ponies!", "I already feel like Catherine in 'Wuthering Heights'!", übertrumpfte man sich da hinten also im Schwanzwedeln und Lola war sich sicher, würde Kazmierski den blanken Arsch präsentieren, würde einer nach dem anderen darin verschwinden. Plopp und weg, nur noch ein einsamer Wanderstiefel aus perforiertem Wildleder würde zwischen den Backen herauslinsen. Warum sprachen die überhaupt ständig Englisch, der Mann kam aus Leverkusen, verdammte Axt.
Kazmierski selbst wirkte noch etwas wacklig auf den Beinen, kein Wunder. Der hatte gestern eine erlesene Gruppe Studierender in der Unterkunft mit “select wines” davon überzeugen wollen, dass es eben doch einen Unterschied machte, ob man sieben Euro in eine Flasche oder eine Hand voll Kleingeld in einen Tetrapak investierte. Den beworbenen Unterschied hatte keiner rausgeschmeckt, aber Felix hatte herausgefunden, dass man das Zeug ganz gut runterbekam, wenn man unterm Tisch einen Spritzer Cola und einen großzügigen Schluck Wodka hinzufügte. Aproprost Felix,
Der lief vor ihr her und sie verlor das Blickduell. Mit den Apollogrübchen auf seinem Steiß, der eine Hand breit brach lag, weil sein Rucksack den Pulloversaum gefangen hielt, besten Dank. Links und rechts des Weges, der von den Unterkünften auf dem Campus der Partnerstadt hinunter ins Zentrum führte, hatte man irgendwelche Laubbäume gesetzt, Allee nannte man das, und Lola hatte keinen blassen Dunst, ob das Bäume waren, die es jetzt nur auf der Insel gab, oder. “Gosh, those trees are beautiful!”, kläffte da schon eine von Kazmierskis Tölen laut genug, um die Musik in den Kopfhörern zu übertönen, “I wish we had those in Germany.”
“Well, we do. Those are regular lime trees”, dozierte es zurück und Lola war froh, dass sie die Frage nicht gestellt hatte. Immer jedenfalls, wenn einer dieser regular lime trees gerade keinen Schatten auf Felix’ Rücken warf, malten die Grübchen zwei, und aus der viel zu blassen Haut glotzten graue Augen sie an, ein hässliches Käsegesicht, das nicht einmal eine Mutter hätte lieben können. Sie schon, wie's aussah, und da halfen auch die Chemical Brothers nicht, denn ihr Finger war ihr wohl dummerweise vom Button gerutscht. Ärgerlich, sie hatte sich verliebt. Nunja, dann eben in die Hände gespuckt und auf zur feindlichen Übernahme, nicht wahr.

Fortsetzung: Teil 2




am 04.Okt 19  |  Permalink
Bin sehr gespannt, wie's weitergeht …und habe gleich mal nachgeschaut, ob ich diese Fossae lumbales laterales habe, diese Eckpunkte der Michalis-Raute, einem oberflächlich sichtbaren Relief im Bereich des Kreuzbeins … :Jap, habe sie!
Da soll mal einer sagen, Bloglesen bildet nicht!

wut_antrinken am 04.Okt 19  |  Permalink
Du willst nicht wissen, wie lange ich gebraucht habe, um rauszukriegen, wie die heißen. Was googlet man da? Dellen unterer Rücken? Auf jeden Fall bizarr attraktiv, gratuliere also. Ich hab sie nicht, aber bei Männern sind die auch eher selten.

Und ja, ich bin auch gespannt, wie es weitergeht und wie lang. Ein bisschen was hab ich noch, also kommt die erste Fortsetzung bald. Aber ich verschätze mich immer mit "Wie viele Zeilen brauchst du, um diese Situation zu schildern"-Einschätzungen. Meine Einschätzung: Halbe Seite. Realität: 4 Seiten. Aber ich lern ja noch. Und hab eine ProtagonistIN, endlich!

dreadpan am 15.Okt 19  |  Permalink
Venus - Latein, Endung -us, Römerin. Obwohl das ja ne männliche Endung ist.
Aphrodite - Griechisch. Aphrodisiakakis oder so ähnlich hieß doch der aus der Lindenstraße. So kann ich mir das merken.

Lieblings-Zeile:
"die Brüste flogen wild herum wie Pogende auf Konzerten der Ärzte"
War zu Ipod-Zeiten das Joggen tatsächlich verpönt gewesen? Muss ich irgendwie verschlafen haben. Mit dem Buttermesser, haha, das haben wir ja anscheinend alle mal versucht. Plastikmesser sind schärfer.

wut_antrinken am 15.Okt 19  |  Permalink
Ist tatsächlich auch die Art und Weise, wie ich mir das behalte, mit dem -us. Hab das aber auch erst sehr, sehr spät gerafft, also lange nachdem ich im Alter meiner Protagonisten war. Das mit Sandler und Stiller krieg ich aber auch bis heute nicht hin, das ist tatsächlich von mir geklaut.

Ne, Joggen war ziemlich dope zu der Zeit. Die Protagonistin stell ich mir etwas runder vor, da hat man ja schonmal Stress beim schnellen Laufen.