Knöpfe, Teil 2

Was bisher geschah: Teil 1

Lola zerrte den ipod aus der Hosentasche und wechselte zur Playlist “Popscheiße”. Nicht, dass sie viel mit Pop hätte anfangen können, aber wer seine Zukunft im Musikjournalismus sah, der hatte gefälligst auf dem Stand der Dinge zu sein. Ja, meine Damen und Herren, Ruhm und Ehre wachsen nicht an den Bäumen (auch nicht an regular lime trees, hähä), das ist harte Arbeit.
"Ich brauch hier mal deine fachkundige Meinung als Musikkenner", erklärte sie nun, als sie sich an den glotzenden Grübchen vorbeibeeilt hatte und neben Felix herlief. Der roch nach Schnaps, nach kaltem Rauch und nach Frauendeo, das er im Übrigen von ihr abgezogen hatte, und damit trotzdem irgendwie noch so, dass man ihn aufessen wollte.
"Ach du grüne Neune, du stinkst wie ein Freudenhaus", kommentierte Lola dem Appetit zum Trotze, denn sie nährte ihre Selbstachtung gerne damit, nicht zu den Frauen zu zählen, die sich im Angesicht eines potenziellen Zukünftigen bloß noch in vogelartigen Piep-, Pfeif- und Flöttönen verständigen können. Sie hatte lange an ihrem Humor gefeilt, der vor allem von Leihgaben bei überholtem Sprachgebrauch zehrte, und diese Errungenschaft würde sie doch nicht ausgerechnet jetzt aufgeben.
"Das ist das Geheimnis meiner Street Credibility", antwortete Felix, der sein Vokabular lieber in der Gosse borgte und dessen Gesicht heute Morgen noch käsiger war als der untere Rücken, bevor er sich den dargebotenen Kopfhörer ins Ohr drückte, "Ist das etwa mein schwarzer Bruder Jay-Z?"
"Fürwahr!", lobte Lola antiquiert am anderen Ende der Schnur, "Aber um den geht es mir nicht. Bitte richten Sie ihre Aufmerksamkeit auf den Sirenengesang, der gleich folgt."
Innerlich klopfte sie sich auf die Schulter dafür, so ein ausgekochtes Schlitzohr zu sein, denn wer Kopfhörer teilte, der war auch drei Minuten lang nah beieinander. Das war ja fast schon Geschlechtsverkehr. Felix hielt jedoch nicht so lange Stand wie erhofft.
"Ella, ella, ella, was ist mit ihr, die hat doch'n Schlaganfall!", urteilte er rasch.
"Das stimmt!", befand auch Lola und war froh, dass mit der Ablehnung der Musikauswahl nicht auch die des Kopfhörers einherging, "Warum hilft ihr denn niemand? Aber du wirst bis zum Ende hören müssen, tut mir sehr leid."
Links an ihnen vorbei zogen die Zwillinge, die keine Zwillinge waren, aber welche hätten sein können, bloß in unterschiedlichen Farbtönen. Zwei Kerle groß wie die Twin Towers, Gott hab sie selig. Da sie keine Trekkingjacken trugen, war ihr Studienschwerpunkt bislang ungeklärt. Stattdessen kleidete man sich auch bei Bodenfrost in T-Shirts, die Drachen und nackte Amazonen zeigten und entweder eine Metalband oder eines dieser Gesellschaftsspiele bewarben, bei denen magere Zahnspangenträger so taten als hätten sie Muskeln, Erfolg bei Frauen und Zauberkräfte, hex, hex. Unter den Lippen wucherten Kinnbärte, blond bei dem einen Zwilling, schwarz bei dem anderen, und sie rochen stets ein wenig wie eine Bahnunterführung, also nach Pisse. Vermutete Lola zumindest, denn nah genug dran, um das zu überprüfen, war sie bislang nie gewesen, preiset den Herrn. Eingehakt in ihrer Mitte führten sie, wie immer, die Spanierin mit sich, die so winzig war, dass ihr armes Näschen unangenehm nah am Quell des unterstellten Gestanks sein musste. Andererseits hatte der Höhenunterschied aber auch sein Gutes, denn so waren die Trommelfelle der Zwillinge, Statur sei Dank, weit genug von der Stimmritze der Spanierin entfernt, um nicht fortwährend ein Platzen zu riskieren. Die fehlende Körpergröße kompensierte man dort unten nämlich mit einer Stimme, die unschöne Kindheitserinnerungen an Ferien auf dem Bauernhof auf den Plan riefen. Schon seit Lola das ohrenbetäubende Krähen auf der Fähre zum ersten Mal vernommen hatte, fragte sie sich, ob die Spanierin wohl oft mit streunenden Hunden und Fledermausschwärmen zu kämpfen hatte, die sie versehentlich ins Haus lockte, wenn sie zum Beispiel unter der Dusche ein Ständchen zum Besten gab. Falls sie überhaupt den Schneid hatte zu singen, man will ja nicht dauernd neue Fensterscheiben einsetzen müssen. Lola zumindest hätte zu anderen Hobbys geraten, thailändische Schweigemeditation zum Beispiel.
Augenscheinlich machte auch einer der Zwillinge sich Gedanken über die bevorzugten Freizeitbeschäftigungen seiner Begleiterin und er teilte seine Vermutung pantomimisch über den schwarzen Schopf der Spanierin hinweg mit dem anderen Riesen, indem er seine Finger zum drahtigen Gestrüpp seines Mundes führte und die Spalte zwischen Zeige- und Mittelfinger ausgiebig mit Speichel benetzte.
"Tobias!", rüffelte Kazmierski von hinten, “What a nasty gesture!”
"Kraaaankes Schwein...", kommentierte auch Felix, leider nur halblaut und exklusiv für Lola, was ihm Abzüge auf der Stempelkarte für Zivilcourage einbrachte. Lachen musste sie trotzdem, denn seine Persiflage des Opfers eines Irren in einem schlechten Psychothriller war wahrlich reif für die goldene Himbeere.
"Was? Was hast du denn gemacht? Man, sag jetzt! Sag schon! Tohohohobihihihihi!", krähte die Spanierin und Lola beeilte sich, die Aufmerksamkeit zurück zur Popmusik zu dirigieren: "So, Felix, jetzt wird's ernst, jetzt musst du aufpassen!"
"Warum quälst du mich so?", setzte der seine Performance fort, hörte das Lied aber bis zum Schluss artig an.
"Was ich mich nun frage", erklärte sie schließlich, als die bepflanzte Ordnung der Allee sich in einer Kurve in dichterem Grün verlor, "Singt diese Rihannaperson da am Ende 'Come here to me', oder, und das wäre wirklich eine beunruhigende Entwicklung der Populärkuktur, 'Cum into me'?"
"Ich hab 'cum into me' verstanden. Risch gut!", urteilte Felix, verzog die weinblauen Lippen zu einem gequälten Lächeln und gab den Kopfhörer zurück, schade.
"Verrohung!", meinte Lola.
"Angeblich ist das der neue Stern am Pophimmel. Ich für meinen Teil glaube ja nicht, dass sich das durchs-"
Weiter kam sie nicht, denn ein Geräusch forderte ihre Aufmerksam ein, das klang, als würde ein schweres Wäschestück klatschnass von der Leine auf den Boden platschen. Unmittelbar vor den Füßen der Spanierin war eine Taube im Sturzflug auf den Boden gekracht und wand sich im Todeskampf.
“Fuck”, meinte Felix und kommentierte damit nicht das Elend des Vogels, sondern den schrillen Schrei der Spanierin, “Mit der Stimme kannste Metall zerflexen.”
“Da sind noch mehr”, meldete sich weiter vorne in der Kurve Janina Vetkötter fachkundig zu Wort, die gemeinsam mit Felix und Lola irgendwas mit Medien studierte und darum eigentlich zu den zurechnungsfähigen Exkursionsteilnehmern zu zählen war, wäre da nicht diese gespenstische Schwärmerei für den Tod gewesen. Bei Kazmierskis Weinfest gestern hatte sie alle 108 Zeilen von Poes “Raven” mit Grabesstimme vorgetragen, und ihre Seminarmitschriften waren am Rand stets mit Kritzeleien von abgetrennten Gliedmaßen dekoriert.
Nun hatte sie ein Stöckchen vom Wegesrand aufgelesen und stocherte damit in einer anderen Taube herum, die gemeinsam mit etwa zwanzig weiteren verendeten Artgenossen den Weg hinter der Kurve pflasterten. Lola fröstelte und versuchte den Blick von dem gefallenen Vogel zu nehmen, der vor den Zwillingen lag. Die Taube schrie im Todeskampf und die Spanierin krähte mit ihr im Chor, schluchzte und heulte und ließ sich von dem blonden Gefährten ausgiebig trösten.
“When doves die”, hauchte Felix Lola eine eigenwillige Interpretation von Prince ins Ohr, aber auch wenn sie den Einfall lobenswert fand, verlor das Lachen gegen den Schrecken.
Der dunkle Zwilling gab sich indes im Konkurrenzkampf um die Gunst der Spanierin nicht kampflos geschlagen und zerquetschte der leidenden Taube mit einem beherzten Sprung den Kopf.
“Jetzt ist Ruhe. Jetzt ist es vorbei”, löste er sein blondes Ebenbild beim Trösten ab.
Hinter Lola kotzte Felix in einen Busch.

Fortsetzung: Teil 3




am 05.Okt 19  |  Permalink
" … und zerquetschte der leidenden Taube mit einem beherzten Sprung den Kopf..."

Lieber Professor Freud, bei uns Bloggerlies ist ja 'ne richtige Herbstdepristimmung im Gange: Famos!! ;)

wut_antrinken am 05.Okt 19  |  Permalink
Ha! Eigentlich wollte ich gegen den Blues anschreiben, aber was will man machen? Wenn der Hass wütet im Herzen, muss der wohl irgendwie raus.
Tauben hasse ich allerdings nicht. Die mag ich sogar sehr. Sind ka auch pfiffiger, als man denkt.