Blutiger Tau
Dort draußen vor deinem Fenster haben zwei streunende Katzen die Liebe gefunden. Ihre Zweisamkeit klingt wie der verzweifelte Schrei eines Neugeborenen.
Ich lösche deine Nachttischlampe und ziehe mir das Shirt über den Kopf. Als ich es neben dem Bett auf den Boden werfe, knipst du das Licht wieder an.
"Nicht.", flehe ich leise und bedecke meinen Nabel mit den Händen. Deine Hand jedoch hat schon sterbende Haut am Oberarm entdeckt, die silbrig auf roten Hügeln darauf wartet, im Schlaf zu blutigem Tau gekratzt zu werden. Deine Finger werden sich noch an diese Berührung erinnern, wenn mein Arm sie schon lange vergessen hat.
"Schuppenflechte", erkläre ich.
"Hatte einer in der Grundschule auch", sagst du ruhig und küsst meine Armbeuge, "als Kind dachte ich, der Junge verwandelt sich langsam in einen Fisch."
Meine Augen wühlen in deinem Gesicht nach Indizien von Spott und Ekel. "Leider nicht ganz so romantisch", sage ich schließlich. "Schwimmunterricht war die Hölle."
"Außerdem", setzt du an, klaust mir die Decke und wickelst deinen Unterleib fest darin ein, "habe ich als Kind im Bett so getan, als sei ich eine Meerjungfrau, oder Meerjungmann, wie auch immer die heißen, siehst du? Hinkoinkoink!"
Deine Imitation eines Seehunds sieht aus wie ein epileptischer Anfall und klingt wie Asthma. Grinsen muss ich trotzdem.
"Hey". Du küsst das Grinsen an einem seiner Enden. "Deine Schuppen bringen mich näher an die Erfüllung meines Kindheitstraums als ich mir je zu wünschen gewagt hätte".
Dann greifst du über mich und angelst etwas vom Nachttisch, hast plötzlich den Deckel eines Filzstifts zwischen den Zähnen.
"Lass uns”, nuschelst du und schiebst den Deckel mit den Zähnen auf die Hinterseite des Stifts, “den Dingern Namen geben, ja?"
Du wartest keine Antwort ab, schreibst schon 'Walburga' neben die Rötung am Ellbogen. "Was einen Namen hat, verbreitet weniger Kummer und Schrecken. Und wenn die Kollegen alle benannt sind, will ich jeden einzelnen besuchen und mich ordentlich vorstellen."
Du drückst auch mir einen Stift in die Hand, unter der das silbrige Rot meines Nabels zum Vorschein kommt.
"Das ist 'ne Agnes", urteilst du. “Agnes”, schreibe ich auf meinen Bauch.
Als es draußen dämmert, sind wir beide nackt und mein Körper unter deinem sieht aus wie eine Landkarte. Die verliebten Katzen vor dem Fenster haben zu schreien aufgehört und sind verschwunden. Ich frage mich, wohin ihre gemeinsame Reise führen wird, und welche Abenteuer da draußen auf sie warten.
Das ist mal ein feiner Text über Möglichkeiten der Liebe, Unangenehmes beim Namen zu nennen und dabei nicht zu kränken oder auszugrenzen!
Und dat Schantall hattet auch so schon schwer jenuch im Lehm, nä?
Ja, guck, ich hab den Herbstblues auch überstanden und habe entschieden, nasse Füße jetzt romantisch zu finden.
Wenn ich über Liebe schreibe, hab ich immer übelste Cringe-Momente, weil es da ja nix zu sagen gibt, das nicht irgendjemand schonmal gesagt hätte, besser. Und dieses ganze Gerede von der romantischen Liebe ist mir schon sehr Feind, eigentlich. Aber Momente, in denen man sich jemandem ganz nah und offen und verstanden fühlt, die mag ich einfach zu gern, um nicht drüber zu schreiben. Es iiist eiiin Dileeemmaaa.
Dank dir für deinen Kommentar, freu mich jedes Mal.
"... Aber Momente, in denen man sich jemandem ganz nah und offen und verstanden fühlt, die mag ich einfach zu gern, um nicht drüber zu schreiben..."
Ja, das geht mir auch so - habe aber leider oft erfahren müssen, dass das Internet ein Arschloch sein kann, was persönliches oder privates in Texten angeht. Das ist mein Dilemma …
Mag sein. Aber ob das hier wirklich persönlich oder privat ist, kann ja niemand wissen (außer den Leuten, die mich persönlich kennen und z.B. wissen, dass ich nicht an Schuppenflechte leide).
Aber ich verstehe, was du meinst. Bin selbst noch nicht auf die Nase gefallen im Netz, aber wer weiß, wie es mir ginge, wenn.
Ich versuche, mich in meinen Texten (und Kommentaren) im Netz an Pina Bausch zu halten: "Wir geben Persönliches preis, nicht Privates."
Und gerade deshalb gibt es Probleme - weil Leser/innen und Kommentatoren das zuweilen nicht so sehen (können) oder durcheinanderbringen (wollen).
Ah, jetzt hab ich den Unterschied gerafft. Sorry, hab das oben auch synonym begriffen, und denselben Fehler gemacht wie deine Attacker.
Also, ja, ich verstehe das Problem. Ich glaube, das ist eine Folge von diesem Kult der ausgestellten Privatheit, der ja schon lange um Personen des öffentlichen Lebens kursiert und mit Instagram und Co auch Otto Normal erreicht hat. Ich bin darum hier wirklich froh, dass meine Person nur so präsent ist, wie ich entscheide. Glaube nämlich, dass eine Verwischung meiner Texte mit meiner Person mich durchaus kränken könnte. Man kann gern an meinen Texten herummäkeln, das wird sicher nicht gut tun, weil ich da ohnehin noch nicht so sicher bin und deshalb auch angreifbar, aber deshalb stelle ich mich ja auch der Öffentlichkeit. Aber wenn man wegen der Texte meine Person angreift oder von mir aus auch lobt oder sonstwelche Rückschlüsse auf mich zieht, schreibt man mir ja jede Abstraktionsfähigkeit ab und das wäre schon böse. Ja, verstehe ich, und hoffe, es bleibt mir erspart. Denn immer nur lustig kann ich nicht, das ist schon meine Masche im Alltag ;)
"... Aber wenn man wegen der Texte meine Person angreift oder von mir aus auch lobt oder sonstwelche Rückschlüsse auf mich zieht, schreibt man mir ja jede Abstraktionsfähigkeit ab und das wäre schon böse..."
Meine Erfahrung: Bei meinen Texten/Kommentaren läuft das immer wieder so- inzwischen glaube ich, dass nicht nur meine Art zu schreiben, sondern die Tatsache, dass ich meine Texte unter meinem Namen (in meinem ersten Buch hat mich die Verlegerin dazu genötigt) oder unter weiblichem Nick im Netz veröffentliche, damit zu tun haben könnte …
Autobiografisches in meine Texte/Kommentare einfließen zu lassen, ist meiner Erfahrung nach unklug, da ALLES, aber auch ALLES missverstanden und gegen mich verwendet werden kann (hat ein bisschen was von Inquisition). Ich erlebe das immer wieder - hier im Blog und anderswo - oft war das der Zeitpunkt, an dem ich lieber meinen Blog/ meine Mitgliedschaft in sog. "Schreibforen" geschreddert habe, als mich wegen irgendwelcher Fehlinterpretationen irgendwelcher User an den Pranger stellen zu lassen.
Deshalb poste ich hier überwiegend nur "Lustiges, Unverfängliches, Allgemeines …" obwohl ich tiefgründiger daherkomme - und schreibe. Im Internet macht das seltsamerweise verletzbar, weil die Kommentatoren nicht einschätzbar sind und toxische Menschen aus der Anonymität heraus schärfer zu schießen geneigt sind … alte Psychologenweisheit, tut aber trotzdem weh, wenn's einen immer wieder erwischt.
Unter männlichem Nick zu posten, habe ich auch schon probiert, fühle mich aber dabei so unwohl wie einst die Prinzessin in den Klamotten ihres Knappen, nur um schadlos durch die Wälder streifen zu können …
Danke, dass du eine Erfahrungen so offen teilst. Klingt wirklich, als habe man dir da übel mitgespielt. Würde gern dazu raten "sich das nicht so zu Herzen zu nehmen", aber wenn ich ehrlich bin, wäre das einfach ein egoistischer Ratschlag, weil ich eben (auch) gern Texte lese, die auch ein wenig "zarter" sind, im Sinne von "sich mit der guten alten Gefühlskiste auseinandersetzen, die Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen von einem zum anderen reichen". Aber wie gesagt, der Rat wäre nur egoistisch und bleibt darum auch im Konjunktiv, denn ich kann gut verstehen, wenn man sich bestimmten verletzenden Einflüssen nicht länger aussetzen möchte und darum andere Wege einschlägt.
Gleichzeitig macht mich aber auch wütend, dass Kreativität auf so eine Weise beschnitten, geformt, abgetötet wird. Das ist ja leider die Schattenseite des Austauschs mit anderen - immer auch viel Missgunst, Cliquenbildung, Versuche von Mode, dann Anbiederungen an diese versuchte Mode und Verurteilung von allem, was nicht ins Schema passt. In deinem Fall, das hattest du an anderer Stelle ja schon erwähnt, kommt noch der Frust dazu, als weibliche Autorin anders gelesen und beurteilt zu werden. Und Ungerechtigkeit ist ja nicht gerade dafür bekannt, leicht verdaulich zu sein. Verstehe, dass das an den Nerven und an der Energie und zuletzt sicher auch am Mut und der Inspiration zehren kann.
Autorin sein UND dazu zart und verletzlich in Texten und Kommentaren rüberzukommen ist hier wie anderswo ein zu Herzen gehender Prozess für sensible Zeitgenossen, die keine An- und Abschaltknöpfe für Empathie haben. Daher bewahre ich mir mein "zart und verletzlich sein" fürs Privatleben auf, wo ich besser einschätzen kann, mit wem ich es zu tun habe.
"... Gleichzeitig macht mich aber auch wütend, dass Kreativität auf so eine Weise beschnitten, geformt, abgetötet wird..."
Leider ist gerade das das Ziel toxischer Kollegen, Türmchenzerstörer und spitzfindiger Wortverdreher, wenn sie spüren, dass jemand mit mehr Spaß und Vergnügen unterwegs sein könnte als sie selbst.
Ich will mich keineswegs als Opfer stilisieren: Wer (als Frau) bewusst mit satirischen Mitteln wie Sarkasmus, Ironie, Überzeichnung … arbeitet, muss sich warm anziehen - schon deswegen, weil manche Leser (ist leider kein Klischee, Frauen missverstehen mich da deutlich seltener) damit nichts anfangen können. Ich habe mal in einem Schreibforum gepostet: Ironie und Sarkasmus sei der Humor der Unterdrückten - und wurde sogleich geteert & gefedert …
Das mit dem dicken Fell muss ich mir erst antrainieren - empfinde immer noch reflexartig Empathie mit jeder Hausstaubmilbe …
Ich zitiere mal @dreadpans neuesten Kommentar auf meinen Kommentar in seinem Blog:"Jaja, fick dich selber, Fotze!"
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.
Habs gelesen, bin erschreckt (und von der Plattform hier: verschreckt) und hoffe auf eine schnelle Lösung. Ob das nun Einsicht, Entschuldigung und fortwährende Ignoranz ist oder wie auch immer man sich da einig werden kann.
Bitte allerdings auch darum, den Sachverhalt nicht hier auszutragen.
Mein Blog ist bereits gelöscht. Ich hatte nie die Absicht, hier etwas auszutragen, dachte nur, es würde Dich interessieren, da wir gerade über dieses Thema gesprochen hatten …
Alles Gute und viel Erfolg weiterhin!
Bitte nicht falsch verstehen. Ich kann die inhaltliche Relevanz durchaus erkennen, möchte aber nicht, dass der Zwist jetzt auch noch hier weiter geführt wird. Der erstreckt sich ja schon über mehrere Blogs.
Was die Löschung angeht: Hätte ich mir anders gewünscht, finde ich schade. Aber du musst entscheiden, was dir gut tut und was nicht, was du aushalten kannst und willst und was nicht. Von daher: Auch dir alles Gute!
Sehr guter Text! Phantastische Idee, großartig umgesetzt! Schuppenflechte zu romantisieren, jenseits von pädagogischen Alle-Menschen-sind-schön-Sprüchen, und dabei nicht ins Kitischige abzugleiten, ist schon eine große Kunst. Wobei "blutiger Tau" vielleicht haarscharf am Kitsch vorbei tropft, aber imho doch gut gewählt wurde, zumal es sehr gut zu der absterbenden Haut und der darunter nachwachsenden und der ganzen endzündlich juckenden Vitalität, die in man in dieser Krankheit auch sehen kann, passt. Meine Schwester hatte übrigens als Kind Schuppenflechte, die sich zum Glück in der Pubertät zurückgebildet hat. Ich freue mich zu hören, dass du dich da von deinem Ich-Erzähler unterscheidest, obwohl oder gerade weil ich nach dem Lesen des Textes direkt Lust hätte mit einem Schuppenflechtler wie dem zu kuscheln. Ein Glück, dass Autor und Ich-Erzähler nicht zusammenfallen, sonst wäre das gerade voll awkward gewesen. ;)
Nur ganz kurz, weil ich gerade arbeite: Blutiger Tau hab ich mir nicht ausgedacht. Das heißt wirklich so :-D Wäre mir vielleicht auch zu krass gewesen, aber als ichs bei der Recherche las, dachte ich: GO FOR IT
So, und jetzt nochmal etwas ausführlicher: Vieeelen Dank!
Ich hasse und liebe Alle-Menschen-sind-schön-Storys. Liebe sie, weil man natürlich im Eifer der Verliebtheit wirklich über manchen Makel hinwegflötet und ich es einfach mag, mich in Geschichten wiederzufinden. Hasse sie, weil man's natürlich auch übertreiben kann mit der Verkitschung, und weil der Topos ja irgendwie auch durchgenudelter ist als ich mit 28.
Wäre schon bitter gewesen, wenn du jetzt die weite Reise in Anspruch genommen und mit offenen Armen im Nicki-Hausanzug kuschelfertig vor der Tür gestanden hättest, nur um dann feststellen zu müssen, dass ich gar nicht an Schuppenflechte leide! "DANN NICHT!", hättest du gezürnt.
Genau das wären meine Worte gewesen. Für glatte Haut entmotte ich doch nicht meinen Nicki! Ich habe glaube ich tatsächlich ein paar Jahre lang hauptsächlich oder zumindest äußerst bevorzugt Nickis getragen. Aber man fängt nach einer Weile an, sich ständig selbst zu streicheln, auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, so ähnlich wie die Leute in dem Truffaut Film Fahrenheit 451. Bin dann auf andere exotische Materalien umgestiegen, wie Sisal, Hanf und Zickenterrorleder. Den Nicki hole ich nur noch privat raus oder halt für Schuppenflechtler.
Aber wirklich gut, dass das rechtzeitig aufgeklärt wurde. Weil, wenn man dann sogar von seinem Stalker stehen gelassen wird - das Trauma therapiert dir so schnell keiner weg.
Dein Nicki in Verbindung mit der geilen Idee des Meerjungmannes hat mich auf die Idee gebracht, Schuppenflechte-Schuppen könnte man doch auch so wie Pailetten verarbeiten. Anstatt immer alles nur zu bedazzlen oder mit Bordüre, Nieten und Stickers zu versehen, könnte man doch ein schillerndes Schuppenjäckchen auf Cord oder Jeansbasis machen, einfach das Zeuch von der Haut kratzen und noch feucht vom blutigen Tau auf die Cord oder Jeansjacke draufbügeln. Ich bin ja nicht begabt für Textilarbeiten, aber für die Fraktion Fashion-Instagram-Account wäre das doch mal ne Idee. Skulpturen aus Fußnägeln sind ja mittlerweile nicht mehr wirklich der heiße Scheiß.