Trödelmoment

Was ich noch weiß:

Mein Opa war Sammler, Gesangbücher, deshalb trieb er sich auf Flohmärkten herum, und ich durfte mit, oft. Um mir die Zeit zu vertreiben, machte ich mich zum Sammler junior, bloß konnt' ich mich nie entscheiden, was ich sammeln wollte. Einmal waren es diese filzigen Hasen- und Bärenfamilien, eigentlich für Mädchen, dann Asterixbücher, die ich nie las. Ich sammelte und sammelte, immer nur genau so lange, dass man ausreichend Ramsch für ein Messizimmer, nie aber genug für eine Sammlung im eigentlichen Sinne zusammenbekam.
Einmal begegnete mir an einem Flohmarkt-Verkaufsstand, ich war vielleicht 8, ein Junge wieder, der dort seine Ware feilbot, lustige Taschenbücher. Die waren richtig begehrt damals, denn wenn man alle besaß und sie in der richtigen Reihenfolge nebeneinander ins Regal stellte, ergaben die Buchrücken gemeinsam ein Bild. In meiner Erinnerung sieht der Junge aus wie ein blonder Harry Potter, aber ich bin sicher, dass das nicht stimmt, meine Erinnerung lügt meistens schamloser als Donald Trump auf Twitter. Ich kannte den Kerl, er war, wie ich, eines jener Opfer, die von ihren fußballspielenden Vätern am Sonntag auf dem Spielplatz neben dem Spielfeld abgesetzt und mit billiger Currywurst ruhig gestellt wurden, wir hatten uns vielleicht ein Mal gesehen. Und dieser Junge begegnete mir auf dem Flohmarkt auf eine Art wieder, die mir bis heute nicht aus dem Kopf geht, weil er mich begrüßte wie einen alten Freund, weil er mich ansah wie einen, weil er mich kannte, obwohl wir höchstens einmal ein Paar Pommes oder einen Lacher über die schlecht in Latzhosen gekleidetete Göre geteilt hatten, die "Ich bin der Martin" gesungen hat, während wir Ed von schleckten.

Ist das nicht der Wahnsinn, dass man Fremde manchmal mit den Augen des Freundes ansieht, mit dem Premierenblick schon, dass diese namenlosen Leute (er hieß bestimmt Daniel oder Sebastian, so hießen wir damals alle) einen Samen in den Kopf pflanzen können, der "Ich kenne dich" heißt, zu "Ich raffe dich" wächst und "Ich mag dich"-Früchte tragen wird, mit dem ersten Blick? Als würde sich allen Unwahrscheinlichkeiten zum Trotze ein Teil fügen in einem 8 Milliarden-Teile-Puzzle, das diesen Planeten zeigt.

Ich hätte den Kerl festhalten sollen, damals, das wäre eine Weiche gewesen, die verstellt worden wäre, wenn ich die Möglichkeiten gehabt hätte, wenn damals nicht Eltern hätten hierhin und dorthin fahren müssen, um so etwas möglich zu machen, hätte ich tun sollen, wo wären wir heute, wer weiß das schon, wo hätte uns das hingebracht, wer wären wir jetzt.




dreadpan am 24.Sep 19  |  Permalink
Dieser Text hat mir besonders gut gefallen. "Ich raffe dich" ist ein interessanter Ausdruck. Ihr jungen Leute kommt immer auf so voll reizende Ideen! Geheimnisvolle, fast schon unheimliche Seelenverwandtschaft, die vielleicht zum Glück nicht ausgelotet wurde. Manche Dinge werden einfach zu schnell profan, dann lieber im Bereich des Nicht-Verwirklichten verweilen!

wut_antrinken am 24.Sep 19  |  Permalink
Du magst die Sachen mit meinen Großeltern! Die habens dir angetan, ich erkenne das Muster, Sherlock will ich fortan heißen. Dank dir ❤️